Skip to main content

Abstract

Ausgehend von den laufenden Diskussionen um die Einkommenssituation von Künstler:innen und Kreativschaffenden weisen wir auf grundsätzlichen Klärungsbedarf für die kulturpolitische Diskussion in der Schweiz hin.

Eine kurze Analyse aktueller Studien zum Einkommen von Künstler:innen und Kreativschaffenden zeigt auf, dass es kaum abgestimmte Definitionen hinsichtlich des kulturellen Sektors bzw. seiner Akteure gibt. Entsprechend liegen multiple Aussagen und Empfehlungen vor. Eine Grundlage für strategisches Handeln ist nicht gegeben. In der Folge weisen wir aus den vier Perspektiven «Heterogenität des kulturellen Sektors», «Governance im / für den kulturellen Sektor», «Ökosystem des kulturellen Sektors» und «Monitoring für den kulturellen Sektor» auf Handlungsbedarf hin und formulieren eine Liste mit entsprechenden Diskussionspunkten.

Das Papier hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und versteht sich als Beitrag des ZCCE zur bis Ende September laufenden Vernehmlassung des Bundes zur Kulturbotschaft 2025 – 2028.[1]

Abstract

Based on the ongoing discussions about the income situation of artists and creative workers, we point to a fundamental need for clarification in the cultural policy discussion in Switzerland.

A brief analysis of current studies on the income of artists and creative workers shows that there are hardly any agreed definitions of the cultural sector or its actors. Accordingly, there are multiple statements and recommendations. There is no basis for strategic action. In the following, we point out the need for action from the four perspectives “heterogeneity of the cultural sector”, “governance in / for the cultural sector”, “ecosystem of the cultural sector” and “monitoring for the cultural sector” and formulate a list of corresponding discussion points.

The paper does not claim to be exhaustive and is intended as a contribution by the ZCCE to the federal government’s consultation on the Culture Dispatch 2025 – 2028, which runs until the end of September.[1]


Datengrundlage und Methodik

Das ZCCE arbeitet mit unterschiedlichen Datenquellen – öffentlichen, privaten, experimetellen. Dabei unterscheiden wir den Fokus «Berufe / Tätigkeiten» vom Fokus «Industrien / Branchen».

Für die vorliegende Analyse verwenden wir die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE) des Bundesamts für Statistik (BFS).[2] Im Vergleich zu z.B. Mitgliederbefragungen von (Dach-)Verbänden hat unsere Methode einige Vorteile, jedoch auch einige Nachteile:

(+) Die SAKE umfasst eine repräsentative Stichprobe der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz; jährlich werden rund 120’000 Personen zu ihrer Erwerbssituation befragt. Die Daten geben u.a. Auskunft über den ausgeübten Beruf, die zugehörige Wirtschaftsbranche, die Arbeitsbedingungen, das Arbeitsvolumen, das Einkommen sowie soziodemografische Merkmale. Die Daten erlauben somit verschiedene Gruppen von Kultur- bzw. Kreativschaffenden zu unterscheiden und deren Erwerbs- und Einkommenssituation zu analysieren. (Quellen: BFS, Ecoplan, ZCCE)

(+) Das SAKE-Erwerbseinkommen entspricht Einnahmen, die Personen mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit erzielen. Dazu gehören nicht nur Löhne, sondern auch Einkünfte aus einer selbstständigen Erwerbstätigkeit sowie beschäftigungsbezogene Sozialleistungen. (Quelle: BFS)

(+/-) Im Schlussbericht zur Studie “Entwicklung der Saläre von Kulturschaffenden” (Ecoplan 2022) wird auf einige Einschränkungen hingewiesen. So lässt sich die oft heterogene Situation der Kultur- bzw. Kreativschaffenden nur begrenzt mittels einer standardisierten Befragung für die gesamte Erwerbsbevölkerung erfassen. Kultur- bzw. Kreativschaffende sind oftmals in verschiedenen Anstellungsverhältnissen sowie auch freischaffend oder selbständig tätig. Entsprechend variiert das Einkommen aufgrund dieser Arbeitsverhältnisse zwischen den einzelnen Jahren, Angaben zur Einkommens- und Erwerbssituation gestalten sich als schwierig.
Der Vorteil einer standardisierten Umfrage ist hingegen, dass die Angaben der verschiedenen Berufsgruppen miteinander vergleichbar sind, und die Einkommen der Kultur- bzw. Kreativschaffenden mit denjenigen der gesamten Erwerbsbevölkerung verglichen werden können. (Quelle: Ecoplan 2022)

In den vorliegenden Daten berücksichtigen wir aufgrund der Vergleichbarkeit mit internationalen Studien lediglich die Haupt-Erwerbstätigkeit in sog. kreativen Berufen und/oder kreativen Branchen (Creative Economy).


Grundsätzliche Beobachtungen zum Einkommen von Kreativschaffenden

Für statistische Auswertungen werden Annahmen getroffen, welche die Ergebnisse substanziell beeinflussen. Am Thema Einkommen von Kultur- und Kreativschaffenden in der Schweiz lässt sich das anhand von vier aktuellen Berechnungen illustrieren[3]:

Je nach Definition der Kultur- bzw. Kreativschaffenden (eher traditionelles Künstler:innenprofil vs. Kreativschaffende innerhalb und ausserhalb des kulturellen Sektors) werden unterschiedliche Einkommensdaten errechnet, mit denen in der Folge ebenso unterschiedliche Argumentationslinien entwickelt werden. Eine strategische und damit zukunftsfähige Diskussion zum Einkommen von Kultur- und Kreativschaffenden kann aktuell in der Schweiz nicht geführt werden – weder isoliert noch als Teil einer übergeordneten (kultur-)politischen Debatte.

Anhand des Themas «Einkommen von Kreativschaffenden» zeigen wir auf, dass zentrale Aspekte zur Definition des kulturellen Sektors bzw. zu seinen Schnittstellen ungeklärt sind.

Wir fokussieren in diesem Briefing auf vier Aspekte.


Heterogenität: Die Binnenstruktur des kulturellen Sektors

Betrachtet man die Einkommen von Kreativschaffenden entlang einzelner Gruppen, so unterscheiden sich diese stark. Sichtbar wird ein höchst heterogener kultureller Sektor bzw. Kultur- und Kreativwirtschaftssektor.

Lesehilfe: Verschiedene Sub-Sektoren zeigen höchst unterschiedliche Einkommensstrukturen – teilweise über der Schweizer Gesamtwirtschaft, teilweise darunter.

Lesehilfe: Das jährliche Bruttoerwerbseinkommen (Median) der Kreativschaffenden (Creative Economy) liegt bei 86’000 CHF (Gesamwirtschaftt: 67’000 CHF).

Fragenkomplex «Heterogenität»: Für eine strategische und zukunftsfähige Diskussion zum kulturellen Sektor bzw. zu seinen Schnittstellen braucht es differenziertere Kategorien als z.B. Künstler:innen oder Kulturschaffende.


Governance: Zu involvierende Politikfelder

Die Einkommen innerhalb einer Branche hängen u.a. von Dimensionen ab, welche durch die traditionelle Kulturförderung kaum beeinflusst werden können. Multiple Anstellungen finden sich längst nicht überall, sondern da, wo die Einkommen tief sind. Schnittstellen mit Feldern wie Forschung oder Innovation sind auch finanziell attraktiv. Fachkräftemangel hat einen substantiellen Effekt auf das Salär. Digitalisierungskompetenz macht einen grossen Unterschied.

Fragenkomplex «Governance»: Für eine strategische und zukunftsfähige Diskussion zum kulturellen Sektor bzw. zu seinen Schnittstellen muss Kulturpolitik mindestens um Dimensionen von Bildungs-, Innovations- und Arbeitsmarktpolitik ergänzt werden.


Ökosystem: Kultur- und Kreativschaffende ausserhalb des kulturellen Sektors

Ein substantieller Teil (rund 50%) der Kultur- und Kreativschaffenden ist nicht im kulturellen Sektor beschäftigt. «Embedded» meint Schauspieler:innen, die ihre Auftrittskompetenz im Beratungskontext nutzen; Game Designer:innen, die ihre Storytellingkompetenz im non profit-Bereich für Nachhaltigkeitsstrategien einsetzen; Kurator:innen, welche komplexe Verhandlungen in globalen Unternehmungen moderieren; … Die Einkommen von Kultur- und Kreativschaffenden ausserhalb des kulturellen Sektors (Embedded) sind höher als innerhalb.

Lesehilfe: Die Einkommen von Kultur- und Kreativschaffenden ausserhalb des kulturellen Sektors (Embedded) sind höher als innerhalb (Specialist).

Lesehilfe: Das jährliche Bruttoerwerbseinkommen (Median) des Bereichs «embedded» ist höher als bei der Gesamtwirtschaft.

Fragenkomplex «Ökosystem»: Für eine strategische und zukunftsfähige Diskussion zum kulturellen Sektor bzw. zu seinen Schnittstellen sollten die Karriereverläufe von Kultur- und Kreativakteuren besser verstanden werden – inhaltlich, personell, finanziell und strukturell. Was heisst genau «Atypische Beschäftigungsverhältnisse»? Welches ist das Referenzmodell?


Monitoring: Neue / Andere Daten und Indikatoren

Es ist heute nur sehr begrenzt möglich, relevante statistische Information mit hoher Granularität zu produzieren. Dennoch ein Beispiel: Der Medianwert des Einkommens von Kultur- und Kreativschaffenden liegt in einzelnen Sparten über der Schweizer Gesamtwirtschaft, in anderen darunter. In der Gruppe “Film, TV, video, radio and photography”, welche dem engeren Kulturbereich zugeordnet wird, liegt er meist darunter.

Lesehilfe: Tiefe Einkommensstrukturen in der Berufsruppe “Film, TV, video, radio and photography”.

Hinweis: Aufgrund der kleinen Stichprobengrösse (N=334) sind die Resultate auf Ebene ausgeübte Berufe (ISCO4) mit Vorsicht zu interpretieren. Lesehilfe: In der Berufsgruppe  Film, TV, video, radio and photography liegt das jährliche Bruttoerwerbseinkommen (Median) der Kreativschaffenden bei 55’000 CHF (Creative economy 86’000 CHF, Total economy: 67’000 CHF).

Fragenkomplex «Monitoring»: Für eine strategische und zukunftsfähige Diskussion zum kulturellen Sektor bzw. zu seinen Schnittstellen braucht es Indikatoren, welche das bestehende Set (BFS, BAK) ergänzen. Das ZCCE testet aktuell z.B. die Analyse von Online-Datenquellen (Data Scraping) aus Online-Stellenangeboten.


Zentrale Fragen

  1. Wie könnte eine evidenzbasierte Kulturpolitik aussehen?

Für eine strategische und zukunftsfähige Diskussion zum kulturellen Sektor bzw. zu seinen Schnittstellen braucht es Indikatoren, welche das bestehende Set (BFS, BAK) ergänzen.

Es fehlen bessere Daten zu Zweitjobs, Freiwilligenarbeit, atypischen Beschäftigungsformen und Freelance-Einkommen und z.B. branchenspezifische Daten zur Zusammensetzung und Entwicklung von Einkommensströmen, z.B. auch nach Geschlecht. Geeignet wären ergänzende Online-Datenquellen (Data Scraping), z.B. aus Online-Stellenangeboten, Daten aus sozialen Medien und digitalen Medienplattformen, Branchenverbänden, Verwertungsgesellschaften usw.

  • Wo bestehen relevante Datenlücken für die Akteure zwischen Politik, Wirtschaft, Bildung und Kulturförderung? Steht das finanzielle Einkommen im Zentrum, oder geht es nach dem Vorbild UK um die viel breiteren Dimensionen von «good work»[4] (wages; employment quality; education and training; working conditions; work life balance; and consultative participation & collective representation)?
  • Wie ist das Geschlechterverhältnis bei den Topverdienenden? Was lässt sich hinsichtlich «winner-take-all»- Strukturen und die Entwicklung agonistischer Strukturen in den unterschiedlichen Teilbereichen aussagen?
  • Bildung und Kultur als Arbeitsmarkt: Werden wirklich (zu) viele Kunst- und Kulturschaffende ausgebildet? Braucht es fokussierte Verbleibstudien oder ein Monitoring des Arbeitsmarkts bzw. der Nachfrage (z.B. Spezialisierungen)?
  • Fehlt für den Kultur- und Kreativbereich eine übergreifende Entwicklungsstrategie, oder gehorchen diese Felder keiner (industrie-)politischen Logik?
  1. Wie stärken wir die Situation von Kultur- und Kreativschaffenden?

Für eine strategische und zukunftsfähige Diskussion zum kulturellen Sektor bzw. zu seinen Schnittstellen braucht es einen strategischen Zugang zum Thema «Fördern».

  • Grundsätzlich: Brauchen wir aktualisierte Definitionen und Abgrenzungen von Kultur- und Kreativschaffenden, Kunstschaffenden, Embedded Artists, Sparten/Branchen, Karriereverläufen, …?
  • Braucht es ergänzend zu den Dimensionen von «good work» (s. oben) Unterstützung für den Kompetenzaufbau zu unternehmerischen Skills und innovativen Geschäftsmodellen, um das Einkommen von Kulturschaffenden zu stärken?
  • Fachkräftemangel: Welche Spezialisierungen mit Bezug zum kulturellen Sektor erfahren in den nächsten Jahren eine höhere Nachfrage, und wen sollte dies interessieren?
  • Wer klärt, wie sich Entwicklungen in Bezug auf die Plattformökonomie oder im Bereich Generative AI auf die Einkommen oder die Urheberrechte auswirken?
  • Wie sollten Ausbildungsmodelle den Herausforderungen und Chancen angepasst werden? (ZHdK: neues Modell Major / Minor)?
  • Die Schweiz hat kaum Zugang zur EU-Forschungs- und Innovationsförderung für die Kultur- und Kreativwirtschaft: Wie stärken wir die Schnittstellen zur Innovationsförderung? …
  • Sind erfolgsbasierte Folgeförderungen (z.B. Erfolgsdarlehen für Folgeprojekte) adäquate Instrumente für digitale Kulturformen auf globalisierten Märkten?

 

Christoph Weckerle, Roman Page, Claudio Bucher


Notes

[1] insbesondere zum Handlungsfeld “Kultur als Arbeitswelt”. Mehr unter: https://www.bak.admin.ch/bak/de/home/themen/kulturbotschaft.html

[2] BFS, Erwerbseinkommen, https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/arbeit-erwerb/loehne-erwerbseinkommen-arbeitskosten/erwerbseinkommen.html

Die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE) ist eine Personenbefragung, die seit 1991 jedes Jahr durchgeführt wird. Ihr Hauptziel ist die Erfassung der Erwerbsstruktur und des Erwerbsverhaltens der ständigen Wohnbevölkerung. Die Daten der SAKE eignen sich besser für sozioökonomische Studien zur Erwerbsbevölkerung als die der LSE. Anhand der SAKE-Daten lassen sich die Erwerbsstruktur der Bevölkerung beschreiben und das Einkommen der Arbeitnehmenden und Selbstständigerwerbenden schätzen. Sie ermöglichen zudem Analysen zu weiteren Themen in Zusammenhang mit der Erwerbssituation (aktuelle und frühere Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit, Pensionierung, Arbeitsbedingungen, Stellensuche, berufliche Mobilität, Ausbildung).
Die SAKE liefert Daten zum Erwerbseinkommen. Das Einkommen aus unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit wird anhand der Angaben der Befragten gemessen. Sie können den Betrag ihres Einkommens entweder brutto oder netto, pro Jahr, pro Monat oder auch pro Stunde angeben. Bei dem entsprechenden Brutto- oder Nettoeinkommen handelt sich um das für ein ganzes Kalenderjahr geschätzte Jahreseinkommen und nicht um das im jeweiligen Jahr tatsächlich erzielte Einkommen. (s. BFS, Merkblatt Analysen zu Erwerbseinkommen und Löhnen, Neuchâtel, 2023. PDF)

[3] Bericht des Bundesrates, Die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden in der Schweiz (in Erfüllung Postulat Maret Marianne), Bern, 2023. PDF
Ecoplan, Entwicklung der Saläre von Kulturschaffenden, im Auftrag der EDK und der Konferenz der kantonalen Kulturbeauftragten KBK Ost, Bern, 2022. PDF
Ecoplan/Prof. Kurt Pärli, Soziale Absicherung von Kulturschaffenden, im Auftrag von Suisseculture Sociale und der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, Bern, 2021. PDF

[4] vgl. Lockey, Alan, and Fabian Wallace-Stephens. “A Blueprint for Good Work: Eight ideas for a new social contract.” London, RSA (2020).

NataliaSmatsi

The Zurich Centre for Creative Economies (ZCCE) is an international centre of excellence dedicated to research, teaching, incubation and consultancy in the field of the creative economies.

Close Menu

About ZCCE